Begegnung mit dem Räuberhauptmann Grasel

 

Vor langer Zeit, als noch Räuber das Waldviertel unsicher machten, wollte eine Bäuerin aus Trabenreith durch den Saaßwald nach Sieghartsreith gehen. Dabei machte sie einen Umweg zum Florianibründl. Dort traf sie auf zwei Burschen, die wissen wollten, was der richtige Weg nach Schiermannsreith sei.

Die Bäuerin und die jungen Männer gingen dann eine Weile denselben Weg und währenddessen erkundigte sich die Frau über die Herkunft der beiden. Diese erzählten, dass sie Viehhändler seien, jedoch in Wappoltenreith und Sabatenreith nichts erhandeln haben können und nun in Schiermannsreith ihr Glück versuchen wollen.

Im weiteren Gespräch war irgendwann die Rede vom Grasel, über den die Bäuerin gleich fürchterlich zu schimpfen begann, weil er einmal bei einem ihrer Verwandten eingebrochen hat.

Die Burschen fragten, ob sie den Grasel eigentlich kenne und als sie verneinte, packten diese die Frau auf einem Baumstumpf und während sie der eine festhielt, nagelte ihr der andere mit Nägeln aus seiner Jackentasche und einem Stein die Kleidung am Sitzfleisch fest.

Dann sagte einer zu ihr: „So jetzt kennst auch du den Räuberhauptmann Grasel!"

 

Vater und Sohn Grasel trieben in den Jahren 1806 bis 1815 im Waldviertel und dessen Umland ihr Unwesen.

Es wurden sogar 204 Einbrüche gerichtlich bekannt. Da man es lange nicht schaffte, den jungen Grasel - den Anführer der Bande - zu fassen, glaubten viele Leute, dass er imstande sei sich unsichtbar zu machen.

Heute ist jedoch bekannt, dass Grasel in vielen Ortschaften Freunde und Hehler - auch unter den Gerichtspersonen - hatte, die ihn immer über die Verhaftungspläne informierten.

 

 

 

Quelle: F. X. Kießling, Frau Saga im niederösterreichischen Waldviertel, Wien 1930.